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Auf zwei Drähten in die Zukunft: Wie Single Pair Ethernet die Kälte- und Klimatechnik verändert

Datum: 02 juli 2025
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Bei der Digitalisierung industrieller Prozesse treffen wachsende Anforderungen an Energieeffizienz, Cybersicherheit und Steuerbarkeit auf technische Altlasten wie serielle Schnittstellen, proprietäre Bussysteme oder schwer skalierbare Installationen. Mit Single Pair Ethernet (SPE) bietet sich nun eine Technologie an, die diese Herausforderungen adressiert. Was genau verbirgt sich hinter SPE? Welche Vorteile ergeben sich konkret für Hersteller, Anlagenbauer und Betreiber und wie kann der Umstieg auf die Zukunftstechnologie gelingen?


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Single Pair Ethernet (SPE) ist ein neuer, weltweit anerkannter physikalischer Ethernet-Standard, der über nur ein verdrilltes Kupferpaar sowohl Daten übertragen als auch Endgeräte mit Strom versorgen kann. Im Unterschied zum herkömmlichen Ethernet, das vier Adernpaare benötigt, erlaubt SPE eine schlankere, ressourcenschonendere Infrastruktur. Die sogenannte "Power over Data Line"-Technologie (PoDL) macht es gleichzeitig möglich, angeschlossene Geräte mit bis zu 50 Watt elektrischer Leistung zu versorgen.

Mit einer Reichweite von bis zu 1.000 Metern bei 10 Mbit/s (gemäß IEEE 802.3cg) eignet sich SPE insbesondere für die Gebäude- und Prozessautomation. Auch höhere Geschwindigkeiten bis zu 1 Gbit/s sind bei kürzeren Leitungswegen möglich. Die zugehörigen Steckverbindungen sind durch die Norm IEC 63171 geregelt und speziell für kompakte, robuste Industrieanwendungen konzipiert.

Warum ist SPE jetzt besonders aktuell?

Mit der zunehmenden Vernetzung intelligenter Komponenten und dem Wunsch nach durchgängiger IP-basierter Kommunikation geraten klassische Feldbus-Systeme an ihre Grenzen. Zwischen der IT-Welt und der Feldebene klafft noch allzu oft eine Lücke, die mit Remote-IO, Medienkonvertern, Repeatern, Gateways und parallelen Kabelwegen überbrückt werden muss. Genau hier setzt SPE an: Es beseitigt diese technische Fragmentierung und bringt Ethernet-Kommunikation direkt bis zum Sensor oder Aktor – und das mit minimalem Verkabelungsaufwand. Damit wird es erstmals möglich, einheitliche IP-Strukturen von der Cloud bis ins Geräteinnere umzusetzen.

In einigen Industriezweigen ist SPE bereits heute unverzichtbar: In der Automobilbranche beispielsweise ist das Kommunikationsprotokoll Teil moderner Bordnetzarchitekturen, was Gewicht, Platzbedarf und Komplexität reduziert und autonomes Fahren erst möglich macht.

In der Robotik sorgt Single Pair Ethernet für mehr Bewegungsfreiheit und effizientere Datenströme. Kleine Biegeradien und die Möglichkeit, Strom über dieselbe Leitung zu führen, sind für Cobots ein klarer Vorteil. Auch Smart-Building-Lösungen profitieren von der Technik: Hier sorgt SPE für eine einfachere Vernetzung von Lichtsteuerungen, Luftqualitätssensoren und Zugangssystemen.

Selbst in explosionsgefährdeten Bereichen der Prozessindustrie findet SPE bereits Anwendung. Dort ermöglicht die Ethernet-APL-Variante (Advanced Physical Layer) den sicheren Betrieb unter anspruchsvollen Umgebungsbedingungen. Diese Praxisbeispiele verdeutlichen das Potenzial der Technologie – und geben Hinweise darauf, welche Möglichkeiten sich auch für die RACHP-Branche erschließen könnten.

Dr. Christian Ellwein, Leiter der Arbeitsgruppe Electronics bei ASERCOM, der Association of European Refrigeration Component Manufacturers, betont die strategische Bedeutung von SPE: „Die Technologie stammt ursprünglich aus dem Automotive-Bereich und wird dort bereits in großem Maßstab eingesetzt. Die Chance liegt nun darin, das Potenzial für die Gebäudeautomation und darüber hinaus für die Kälte- und Klimatechnik konsequent zu erschließen.“

ASERCOM und SPESA: Zusammenarbeit für einen gemeinsamen Standard

ASERCOM und die Single Pair Ethernet System Alliance (SPESA), ein weltweiter Zusammenschluss von 90 führenden Technologieunternehmen – haben erkannt, dass die Einführung von SPE in der Kälte- und Klimatechnik nicht allein auf technischer Ebene stattfinden kann. Sie haben sich daher in einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen, um gemeinsam Standards, Anforderungen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Ziel ist es, die Voraussetzungen für eine interoperable, herstellerübergreifende Umsetzung zu schaffen.

Ellwein ergänzt: „Wichtig ist, die richtige Technologie auszuwählen, um Zukunftssicherheit zu haben und nicht mehrfachen Aufwand für verschiedene Technologien. Daher ist es entscheidend, dass ASERCOM sich frühzeitig engagiert – das kann viel Entwicklungsaufwand sparen.“

Dabei geht es nicht nur um technische Spezifikationen. In der laufenden Zusammenarbeit werden auch Kommunikationsbedarfe, Dateninhalte, Updatezyklen und Energieversorgungsanforderungen analysiert. Ein zentraler Punkt ist die Bewertung bestehender Infrastrukturen: Welche Verkabelung kann weiterverwendet werden? Welche Schnittstellen sind zukünftig relevant? Und wie lassen sich Pilotprojekte sinnvoll und praxisnah gestalten? Erste Ergebnisse sollen auf dem SPE-Forum im Herbst 2025 vorgestellt werden.

 

Technologische Vorteile in vernetzten Systemen

Ein wesentlicher Pluspunkt von SPE ist die Vereinheitlichung der Kommunikationsinfrastruktur. Statt einer Vielzahl an proprietären Feldbussen erlaubt die Technologie den Aufbau eines durchgängigen IP-Netzwerks bis auf die unterste Ebene. Das vereinfacht nicht nur die Planung, sondern reduziert auch potenzielle Fehlerquellen.

Hinzu kommt, dass viele Sicherheits- und Kommunikationsstandards aus der IT-Welt direkt nutzbar sind. Zertifikatsbasierte Verschlüsselung, rollenbasierte Zugriffsmodelle oder Update-Möglichkeiten über das Netzwerk sind heute schon etabliert – und werden mit SPE auch auf Geräteebene realisierbar. Gleichzeitig sorgen kleinere Steckverbinder und geringere Adernzahlen für kompaktere Geräte und vereinfachte Installationen.

Simon Seereiner, Business Development Manager bei Weidmüller und Vorstandssprecher der SPE System Alliance, bringt es auf den Punkt: „SPE ist nicht einfach nur eine weitere Technologie – es ist der Schlüssel zur industriellen Kommunikationsarchitektur der nächsten Dekade. Es vereinfacht Netzwerke radikal und hebt gleichzeitig Sicherheitsstandards auf ein neues Niveau.“

Die Energieversorgung über PoDL rundet das System ab: Viele Sensoren und Bedieneinheiten können ohne zusätzliches Stromkabel betrieben werden. Das reduziert Montagezeiten, spart Kosten und verringert die Brandlast in kritischen Umgebungen.

Standardisierung und Verfügbarkeit

Die internationale Normung von SPE schafft Planungssicherheit: IEEE 802.3 legt die Datenübertragungsstandards fest, die IEC 63171 definiert passende Steckgesichter für Industrie, Gebäude und raues Umfeld. Kabel für die unterschiedlichen Anwendungen sind in der IEC 61156-11 bis -14 ebenfalls standardisiert. Bereits heute sind Produkte mit verschiedenen IEC-Schnittstellen am Markt verfügbar. Unterstützung erfährt SPE auch durch die SPE System Alliance. Ihre Zusammenarbeit in der Allianz stellt sicher, dass Geräte, Infrastrukturelemente und Softwareplattformen aufeinander abgestimmt sind.

Seereiner sieht darüber hinaus die Chance, durch SPE ganz neue Funktionen zu erschließen: „Wenn Strom und Daten auf demselben Drahtpaar übertragen werden, eröffnen sich neue Möglichkeiten – z. B. für intelligente Sensoren mit zusätzlichen Analysefunktionen oder Aktoren, die direkt vernetzt und konfigurierbar sind.“

Er ergänzt: „Sobald Strom und Daten über dasselbe dünne Kabel laufen, wird’s nicht nur günstiger und flexibler – sondern auch intelligenter: Geräte erkennen sich, aktualisieren sich und sind in Echtzeit steuerbar. So wird aus einem simplen Draht ein smarter Datenpfad.“

 

Die Vorteile von SPE sind nicht nur technischer, sondern auch ökonomischer und ökologischer Natur. Weniger Kupfer und Kunststoff bedeuten geringere Materialkosten und eine deutlich bessere Umweltbilanz. Laut SPE System Alliance kann bei typischer Maschinenverkabelung das Kabelgewicht um bis zu 60 Prozent gesenkt werden. Gleichzeitig entfällt durch die Energieversorgung per PoDL in vielen Fällen ein Netzteil, was wiederum Platz, Energie und Wartung spart.

Darüber hinaus sorgt die Standardisierung für eine Reduzierung der Variantenvielfalt: Weniger unterschiedliche Komponenten bedeuten geringeren Lagerbedarf und einfachere Schulung. So profitieren nicht nur Hersteller, sondern auch Integratoren und Betreiber von einer effizienteren, nachhaltigen Systemarchitektur.

Fazit: Infrastruktur der Zukunft auch für Betreiber relevant

Single Pair Ethernet ist mehr als eine neue Verkabelungstechnik – es ist ein strategischer Hebel für Digitalisierung, Effizienz und Nachhaltigkeit. Für Hersteller aus der Kälte- und Klimatechnik bietet die Technologie neue Spielräume in Design, Integration und Vernetzung. Doch auch Betreiber profitieren: Anlagen werden transparenter, steuerbarer und wartungsfreundlicher.

Beispielsweise für den Lebensmitteleinzelhandel, die Logistikbranche oder Betreiber von Gebäudekomplexen bedeutet das: bessere Daten für die Steuerung von Klima- und Kältetechnik, einfachere Integration in bestehende Netzwerke, weniger Aufwand bei der Instandhaltung.

Die laufende Kooperation von ASERCOM und SPESA zeigt, dass ein strukturiertes Vorgehen möglich ist. Wer heute mitdenkt, kann morgen effizienter handeln. Denn die Infrastruktur, über die kommuniziert wird, ist der stille Rückhalt jeder erfolgreichen Digitalisierung.

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